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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 14/2021
Der Inhalt:

Roman
An das Wilde glauben: Der Kampf mit dem Bären als Offenbarung

von Gunhild Seyfert vom 23.07.2021
In dem poetischen Buch von Nastassja Martin wird eine Begegnung auf Leben und Tod zum Wendepunkt ihres Lebens
Nastassja Martin: An das Wilde glauben. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Matthes & Seitz. 140 Seiten. 18 €
Nastassja Martin: An das Wilde glauben. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Matthes & Seitz. 140 Seiten. 18 €

Roman. Bei einer Expedition zu den Vulkanen der Halbinsel Kamtschatka in Sibirien begegnet der französischen Anthropologin Nastassja Martin ein Bär. Der Zusammenstoß auf dem schmalen Pfad ist unausweichlich, die Angst und Aggressivität von Mensch und Tier prallen aufeinander, und es kommt zum Kampf. Der Bär beißt der Frau ins Gesicht, in ihren Schädel und ins Bein. Sie schlägt mit einem Eispickel auf ihn ein. Beide überleben schwer verletzt. Das, was für die meisten Menschen ein tragischer Schicksalsschlag wäre, wird für die Wissenschaftlerin und Schriftstellerin Martin jedoch zur »Begegnung«, bei der die Grenzen zwischen ihr und dem wilden Tier verschwimmen. Ihr Kampf mit dem Bären wird zum Ausgangspunkt für eine persönliche und zugleich wissenschaftlich fundierte Frage nach der Stellung des Menschen in der Natur. Nachdem ihr Kopf und ihr Kiefer in russischen und französischen Krankenhäusern operiert wurden, kehrt die Autorin zurück zum Ort des Geschehens. Dort lebt sie im Wald mit einer Großfamilie der Ewenen, einem der letzten indigenen Völker Sibiriens. Sie schreibt über ihre »innere Melancholie« und Depressivität, wenn sie beobachtet, welche irreversiblen Schäden die moderne Zivilisation anrichtet. Und kommt durch das Nachdenken über den Kampf mit dem Bären auch sich selbst auf die Spur: »Ich sage mir, dass ich auf der Hochebene wohl uneingestanden auf der Suche war nach demjenigen, der endlich die Kriegerin in mir offenbaren würde.« Zuweilen erinnert das Buch an Berichte von Aussteigern, die authentische Erfahrung suchen und Natur romantisieren. Aber Nastassja Martin erzählt auch sehr nüchtern von ihren Verletzungen und Schmerzen; das entstellte Gesicht akzeptiert sie ohne Selbstmitleid als Zeichen ihrer Veränderung. Der kluge und doch poetisch geschriebene Text braucht nur 140 Seiten, um starke Bilder zu erzeugen und tiefen Eindruck zu hinterlassen.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 14/2021 vom 23.07.2021, Seite 55
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